33 Jahre Sozialer Survey Österreich: Ein Rückblick

03.10.2019

Als Projektverantwortlicher und Mitinitiator hat der Soziologe Max Haller den Sozialen Survey Österreich (SSÖ) von Beginn an begleitet. Alle Erhebungswellen (1986, 1993, 2003, 2016 und 2018) sind nun im AUSSDA Dataverse verfügbar. Wie er die Entwicklung des SSÖ miterlebt, schildert er im AUSSDA-Interview.

Worum geht es beim Sozialen Survey Österreich?

Anfang der 1980er Jahre kam es in der soziologischen Forschung zu einem revolutionären Durchbruch. Obwohl es in Europa und den USA bis dahin schon recht viel empirische Sozialforschung gab, waren die Ergebnisse nicht miteinander vergleichbar, die Analysen oft nicht nachvollziehbar. Mit der Einführung großer Sozialer Surveys - bahnbrechend dafür waren die USA mit dem seit 1972 laufenden General Social Survey - änderte sich dies grundlegend. Vier Prinzipien liegen diesen Sozialen Surveys zugrunde: es handelt sich um repräsentative Bevölkerungsumfragen; Fragebogenentwicklung und Durchführung erfolgen nach hohen wissenschaftlichen Standards; die Umfragen werden in bestimmten Intervallen regelmäßig wiederholt; die Daten werden allen SozialforscherInnen unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Nachdem solche Surveys inzwischen in mehreren Ländern etabliert wurden, gibt es heute erstmals große und über längere Zeiträume vergleichbare Umfragen über grundlegende soziale Einstellungen und Verhaltensweisen der Bevölkerung, die es erlauben, wichtige gesellschaftliche Trends zu erkennen und zu analysieren. Durch die länderübergreifende Zusammenarbeit der nationalen Teams, welche derartige Surveys durchführen, werden auch internationale Vergleiche auf einem viel höheren methodologischen Niveau und mit inhaltlich viel reichhaltigeren Fragestellungen möglich, als dies früher der Fall war. Auch Studierende und Forschende ohne viel Geld können tiefgehende, international vergleichende Analysen zu vielen Fragestellungen durchführen.

Wie kam es zur Durchführung der Studie?

Der Soziale Survey Österreich (SSÖ) wurde 1986 erstmals durchgeführt; er gehört damit zu den ältesten derartigen Erhebungen in Europa. Als wissenschaftlicher Leiter war ich 1984-85 am Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen (ZUMA) in Mannheim für die Durchführung der analogen deutschen Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (Allbus) zuständig. Nach meiner Berufung auf eine Professur für Soziologie an der Universität Graz 1985 nahm ich sofort die Etablierung einer ähnlichen Umfrage für Österreich in Angriff. Um den Charakter der allgemeinen Bedeutung der Daten für die Sozialforschung in Österreich und die Kontinuität der Erhebungen zu sichern, bemühte ich mich von Anfang an, auch SozialforscherInnen anderer Universitäten und wissenschaftlicher Einrichtungen einzubeziehen. In der ersten Welle 1986 war dies neben dem Grazer Institut auch das Institut für Soziologie der Universität Linz (Prof. Kurt Holm); an der zweiten Erhebung 1993 waren auch das Institut für Soziologie der Universität Wien und das Institut für Höhere Studien beteiligt. Als sehr schwierig erwies sich allerdings die Finanzierung der Studien. In Österreich gibt es leider, im Unterschied zu Deutschland und zur Schweiz, viel weniger Mittel für Sozialforschung und praktisch keine Förderung von langfristig angelegten soziologischen Projekten. Die Finanzierung des SSÖ erfolgte in der Regel durch den FWF, jedoch war es durch vielfache Verzögerungen, lange Begutachtungsfristen und Ablehnungen von Erstanträgen nicht möglich, den SSÖ in relativ kurzen Zeitintervallen zu wiederholen. Durch die fünf Erhebungswellen (1986, 1993, 2003, 2016 und 2018) ist es aber dennoch gelungen, eine beachtliche, in ihrer Art einmalige Datenquelle für Analysen des sozialen Wandels in Österreich bereitzustellen. Die AntragstellerInnen der Surveys haben selbst zu jeder Erhebungswelle einen umfangreichen Sammelband herausgegeben, zu welchem ForscherInnen aus vielen wissenschaftlichen Institutionen Beiträge leisteten. Diese Bände sind in zahllosen Bibliotheken in ganz Österreich verfügbar und werden auch in Studium und Lehre häufig verwendet.

Warum machen Sie die Datensätze und Dokumentation des SSÖ zugänglich?

Der Soziale Survey wurde von vornherein als ein Infrastrukturprojekt der Sozialwissenschaften im weitesten Sinne angelegt; die erhobenen Daten sind relevant für SoziologInnen, PolitikwissenschafterInnen, ÖkonomInnen, DemographInnen, EthnologInnen und SozialpädagogInnen bis hin zu RechtwissenschafterInnen und TheologInnen. Die Daten der Meinungsforschung von heute, und dies gilt besonders für die Sozialen Surveys, werden eine äußerst wertvolle Quelle für HistorikerInnen kommender Generationen sein, wie Paul F. Lazarsfeld 1968 schrieb. Dies wird aber auch für künftige SozialwissenschafterInnen gelten, die mit den Daten selber Analysen nachvollziehen und im Lichte neuer Trends und Theorien vertieft auswerten können. So weisen die Befunde sehr deutlich auf wichtige Trends in gesellschaftlichen Werthaltungen hin (etwa zum relativen Bedeutungsgewinn der Freizeit im Vergleich zu Arbeit und Familie, zur Verschiebung von Familien- und Arbeitswerthaltungen, zur Abnahme der Zusammenhänge zwischen sozialer Lage und Parteipräferenzen); sie haben auch wichtige politische Implikationen. Ein weiterer Anlass dafür, die Daten allgemein zugänglich zu machen liegt darin, dass damit auch ausländische ForscherInnen Vergleichsanalysen mit Österreich durchführen können. Aufgrund der Besonderheiten Österreichs in mehrfacher Hinsicht - etwa der starken Zuwanderung, der hohen Bedeutung der Sozialpartnerschaft, dem Aufstieg der stärksten rechtspopulistischen Partei in Europa - gibt es auch hierzu immer wieder Anfragen. Die internationale Zusammenarbeit war auch ein wesentlicher Grund für die Etablierung des Sozialen Survey in Österreich, weil damit die Teilnahme am International Social Survey Programme (ISSP) möglich wurde. Dies ist ein weltweites, rund 45 Länder umfassendes Forschungsprogramm, in dessen Rahmen seit 1985 jährliche Erhebungen zu Themen wie Arbeit, Familie, Einstellungen zu Politik und Regierung, nationaler Identität, Freizeit und Sport usw. durchgeführt wurden. Die Grazer Arbeitsgruppe (Max Haller, Franz Höllinger, Markus Hadler) konnte wesentliche Beiträge zu diesem Programm leisten, durch Themenvorschläge (wie nationale Identität, Freizeit und Sport, soziale Netzwerke) und Leitung der entsprechenden drafting groups für die Fragebogenentwicklung. Die Daten aus diesen Erhebungen werden international genutzt und es gibt mehrere tausend Veröffentlichungen daraus in renommierten internationalen Zeitschriften und Büchern.

  • Max Haller, geb. 1947 in Sterzing, studierte Soziologie in Wien (Dr. phil. 1974) und habilitierte sich 1984 an der Universität Mannheim. Er war Assistent und Abteilungsleiter am Institut für Höhere Studien in Wien (1974-1979), wissenschaftlicher Mitarbeiter bzw. Leiter beim VASMA Projekt, Universität Mannheim, und bei ZUMA, Mannheim und von 1985-2015 ord. Professor für Soziologie an der Universität Graz. Seit 1994 ist er korr. Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Er war Mitbegründer des International Social Survey Programme (ISSP) und der European Sociological Association (ESA) und Initiator und Leiter des Sozialen Survey Österreich. Er lehrte an zahlreichen Universitäten im In- und Ausland, darunter Trient, Italien; University of California, Sta. Barbara; St. Augustine University, Tansania und zuletzt Corvinus University Budapest. Er ist Autor bzw. Herausgeber von rund 40 Büchern und 160 wissenschaftlichen Aufsätzen.

Max Haller, 1985 und 2017. (Foto: privat)