Drei Fragen an ... Martin Haselmayer

09.03.2021

Martin Haselmayer beschäftigt sich mit negativer Kommunikation in Politik und Medien und deren Auswirkungen auf den demokratischen Wettbewerb. Er hat mit einem Kollegen ein Sentiment-Lexikon erstellt, um „Negative Campaigning“, etwa in österreichischen Nationalratswahlen, zu analysieren. Im Interview mit AUSSDA spricht er über Ergebnisse seiner Forschung.

 

Worum geht es in der Studie?

Die Daten dienen als Grundlage für die Analyse negativer politischer und medialer Kommunikation bzw. Politikvermittlung: Es geht darum, empirisch zu analysieren, „wie negativ“ Parteien kommunizieren, einander kritisieren, oder Medien über Politik berichten. Während bisherige Forschung durchwegs auf eine einfache, dichotome Unterscheidung zwischen „positiver“ und „negativer“ Kommunikation setzt, argumentiert dieser Ansatz, dass die Intensität oder Tonalität negativer Aussagen Konsequenzen für die Rezeption und Effekte von Negativität hat. Dabei stützen wir uns auf experimentelle Forschung, die zeigt, dass die Stärke negativer Aussagen die Wahrnehmung der Rezipient*innen beeinflusst.

Einerseits ist Kritik ein wesentlicher Bestandteil des politischen Wettbewerbs und erfüllt unerlässliche Funktionen in demokratischen Systemen: Sie dient etwa dazu, Positionen und Inhalte abzugrenzen oder Verfehlungen und Schwächen aufzeigen und kann damit zur Sicherstellung der politischen Verantwortlichkeit beitragen. Andererseits zeigen Studien, dass heftige Angriffe oder besonders untergriffige Sprache Wähler*innen demobilisieren oder Zynismus gegenüber Politik und Demokratie auslösen oder zur Polarisierung der Gesellschaft beitragen können. Es ist also wichtig, Nuancen in der politischen Kommunikation herauszuarbeiten, um unterschiedliche Konsequenzen voneinander abzugrenzen.

Zu diesem Zweck haben mein Kollege, Marcelo Jenny, und ich zunächst Instrumente für die (semi-)automatisierte Sentiment-Analyse deutschsprachiger Texte entwickelt, die eine Analyse der Intensität negativer Kommunikation ermöglichen. Wir haben dazu die Negativität von Sätzen aus Presseaussendungen und parlamentarischen Debatten mittels Online-Crowdcoding mehrfach auf einer fünfteiligen Skala bewerten lassen. Diese Daten stehen als Trainingsdaten für Machine-Learning-Ansätze zur Verfügung und bilden die Grundlage für ein deutschsprachiges Sentiment-Diktionär.

In unserer Forschung verwenden wir einerseits die crowdcodierten Daten direkt – um „Negative Campaigning“ in österreichischen Nationalratswahlen zu analysieren. Das Sentiment-Lexikon nutzten wir neben der Analyse von Parteikommunikation auch dazu, die mediale Vermittlung von Politik im Wahlkampf zu untersuchen. In einem interdisziplinären Projekt haben wir zudem die Trainingsdaten für Machine-Learning-basierte Analysen der Negativität parlamentarischer Debatten im Nationalrat verwendet.

Was ist für Sie der spannendste Aspekt der Studie? Gab es überraschende Ergebnisse?

Der Ausgangspunkt unserer Forschung war das konzeptionelle Ungleichgewicht zwischen der Messung von „Negative Campaigning“ in der bestehenden Forschung und der öffentlichen und medial vermittelten Wahrnehmung dieser Kampagnenstrategie. Bisherige Forschungsergebnisse auf Basis unserer Daten bestätigen, dass Parteien unterschiedliche Muster hinsichtlich des Volumens negativer Kommunikation und der Intensität oder Tonalität ihrer Angriffe aufweisen. So zeigt sich etwa, dass Koalitionspartner sich mitunter in Wahlkämpfen zwar häufig gegenseitig kritisieren, diese Kritik aber in der Regel weniger intensiv ausfällt, als Negative Campaigning zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien. Das kann darauf hindeuten, dass diese Parteien im Wahlkampf zwar inhaltliche Differenzen austragen, aber gleichzeitig darauf bedacht sind, zukünftige Koalitionsoptionen nicht durch das verbale Zerschlagen von Porzellan zu beeinträchtigen. Ein ganz aktuelles Resultat unserer Forschung zeigt, dass die Reden weiblicher Abgeordneter im Nationalrat weniger negativ sind als jene ihrer männlichen Kollegen. Die Parlamentarierinnen können darüber hinaus einen positiven Einfluss auf ihr soziales Umfeld ausüben: Die Negativität in den Debatten und in den Parlamentsfraktionen sinkt, wenn der Anteil weiblicher Abgeordneter höher ist.

Warum haben Sie sich entschieden, die Daten frei zugänglich zu machen?

Diese Entscheidung erscheint mir alternativlos: Wissenschaftliche Forschung lebt von der freien Verfügbarkeit von Daten und Analysewerkzeugen. Ein wesentlicher Aspekt besteht darin, bestehende Ergebnisse und Ansätze einer stetigen kritischen Betrachtung und Überprüfung zu unterziehen. Wir hoffen auch, dass andere Forscher*innen diese Daten nutzen, um spannende Forschungsfragen zu beantworten und damit das Verständnis von negativer politischer Kommunikation, der medialen Politikvermittlung und den damit einhergehenden Konsequenzen auf den demokratischen Wettbewerb und Wähler*innen aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten.

  • Martin Haselmayer ist Postdoc im Projekt „Varieties of Egalitarianism (VoE)“ am Fachbereich Politik und Öffentliche Verwaltung (Universität Konstanz) und Senior Research Fellow am Institut für Staatswissenschaft (Universität Wien). Zuvor war er Pre- und Postdoc im Rahmen der Österreichischen Nationalen Wahlstudie (AUTNES). Studium der Politikwissenschaft und Romanistik in Wien, Aix-en-Provence und Lyon. Forschungsinteressen: Politische Kommunikation, Parteienwettbewerb und Textanalyse.
Auf dem Foto ist Dr. Martin Haselmayer zu sehen.

Martin Haselmayer (Foto: privat)