Worum geht es in der Studie?
In der durch das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung beauftragten Maturierendenbefragung 2022 haben wir zum einen untersucht, was zentrale Einflussfaktoren auf die Pläne nach der Matura sind. Eine weitere Frage beschäftigte sich damit, wie gut sich die Maturierenden in ihrer Entscheidungsfindung informiert, beraten und unterstützt fühlen. Dazu haben wir österreichische Maturierende des Jahrgangs 2022 wenige Monate vor ihrem Schulabschluss online befragt.
Ein besonderer Fokus der Studie lag auf der Schnittstelle Schule – Hochschule. In der Bildungsforschung wird vielfach kritisiert, dass dieser Übergang mit vielen Problemen verbunden ist und immer komplexer wird. Bislang fehlten aber umfassende empirische Erkenntnisse darüber. Mit der Maturierendenbefragung 2022 konnte diese Forschungslücke für Österreich geschlossen werden und neben anderen Aspekten der Übergang Schule – Hochschule aus der Perspektive jener erforscht werden, die unmittelbar vor diesem Ereignis stehen.
Was ist für Sie der spannendste Aspekt der Studie? Gab es überraschende Ergebnisse?
Durch die frühe Ausdifferenzierung des Bildungssystems manifestieren sich soziale Bildungsungleichheiten in Österreich relativ früh. Aber wie wir feststellen konnten, wird auch an der Schwelle Sekundarstufe II die Entscheidung, ob ein Studium aufgenommen wird oder nicht, noch maßgeblich von Faktoren der sozialen Herkunft beeinflusst. Wir konnten in unseren multivariaten Analysen eine sehr gute Erklärungskraft erzielen, weil wir in der Befragung viele unterschiedliche Merkmale erhoben haben, die auch auf theoretischen Konzepten basieren. Bei simultaner Berücksichtigung unterschiedlicher Merkmale zeigt sich etwa, dass die Selbstwirksamkeitserwartung, ein Studium erfolgreich abschließen zu können, einen viel größeren Effekt auf die Wahrscheinlichkeit einer Studienaufnahme hat, als die tatsächlichen Noten. Zudem spielt auch der Einfluss der Familie, das Verhalten der Peergroup und der Informationsgrad eine wesentliche Rolle. Überraschend war zudem, dass die beruflichen Ziele „möglichst viel Geld verdienen“ und „einen sicheren Job haben“ einen positiven Effekt auf den direkten Arbeitsmarkteinstieg, aber nicht auf eine Studienaufnahme haben. Darüber hinaus zeigt die Studie, dass viele Entscheidungen getroffen werden, ohne dass sich die Maturierenden darüber ausreichend informiert fühlen und dass derzeit vorhandene Informationen aus Sicht der Maturierenden häufig nur bedingt als Entscheidungshilfen dienen. Die Risiken, die sich daraus entwickeln, verursachen Kosten auf mehreren Ebenen und haben daher gesellschaftliche Relevanz.
Warum haben Sie sich entschieden, die Daten frei zugänglich zu machen?
Wir als Hochschulforschungsgruppe HER begrüßen die Initiativen und die Prozesse, die Open Science unterstützen, sehr. Nahezu gleichzeitig mit den Daten der Maturierendenbefragung wurden daher auch Daten der Studierenden-Sozialerhebung, einer regelmäßig durchgeführten Erhebung unserer Forschungsgruppe über die soziale Lage von Studierenden in Österreich, bei AUSSDA eingelagert. Die Aufbereitung der Daten, um sie möglichst gut auch für andere Forscher:innen nutzbar zu machen, und eine gute Datendokumentation fordert viel Zeit und Mühe. Aber das schafft auch eine hohe Transparenz bei der Forschungsmethodik und bei den Forschungsergebnissen, die mit diesen Daten gewonnen werden. Ein breiterer Outreach der Ergebnisse, die Förderung des wissenschaftlichen Diskurses sowie die Stärkung der Qualitätskontrolle und der Vertrauenswürdigkeit von Daten sind nur einige der positiven Effekte, die damit erzielt werden können. Die von uns erhobenen Daten bieten zudem die Möglichkeit, sehr viele unterschiedliche relevante Fragestellungen und Hypothesen empirisch zu überprüfen. Wir hoffen daher auf eine breite Nutzung unserer Daten innerhalb der Forschungscommunity, nicht nur um den wissenschaftlichen Diskurs voranzustoßen, sondern auch um Grundlagen für evidenzbasierte Politik zu schaffen und damit die gesellschaftliche Bedeutung unserer Forschung zu stärken.
- Anna Dibiasi hat an der Universität Wien Soziologie und Politikwissenschaft und an der Wirtschaftsuniversität Wien Sozioökonomie studiert. Sie ist seit 2014 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Höhere Studien Wien (IHS) tätig und Mitglied der Forschungsgruppe HER. Zu ihren Forschungsinteressen zählen Schwierigkeiten und soziale Ungleichheiten beim Übergang von der Schule in die Hochschule und die Ausgestaltung der ersten Studienphase an Hochschulen, unter anderem mit Schwerpunkt Gender und/oder MINT. Aktuell leitet sie ein Projekt zum Status-Quo und aktuellen Herausforderungen im MINT-Bereich an Hochschulen, das auf der Analyse unterschiedlicher Datenquellen basiert und beschäftigt sich dabei unter anderem mit der Frage, welche Rolle am Ende der Sekundarstufe II unterschiedliche Faktoren bei der Entscheidung, ein MINT-Studium aufzunehmen oder nicht, spielen.