Worum geht es in der Studie?
Im interdisziplinären EU-Projekt „REMINDER“ haben mehrere Forschungseinrichtungen gemeinsam daran gearbeitet, Migration und Mobilität innerhalb Europas besser zu verstehen. Dabei hat unser Team an der Universität Wien zusammen mit Kolleg*innen der Universidad Rey Juan Carlos die medialen Narrative der Jahre 2003 bis 2018 in mehr als 50 Print- und Onlinenachrichtenmedien aus sieben Ländern analysiert.
Um die großen Mengen an Daten zu verarbeiten, haben wir die State-of-the-art-Methodik der multilingualen semi-automatisierten Textanalyse angewendet und weiterentwickelt. Das hat uns ermöglicht, die Sichtbarkeit der Migrationsdiskurse, deren Tonalität und deren Framing genauer zu bestimmen. Dazu haben wir zwei Datensätze erstellt: Erstens einen historischen Datensatz, der sich mit der Medienberichterstattung von 2003-2017 befasst und eine dynamische Untersuchung des Migrationsdiskurses im Zeitverlauf ermöglicht. Zweitens einen Kurzzeitdatensatz, der sich mit der Migrationsberichterstattung zwischen 2017 und 2018 beschäftigt und als Input für die Panelbefragung desselben Projekts dienen kann.
Was ist für Sie der spannendste Aspekt der Studie? Gab es überraschende Ergebnisse?
Der wohl spannendste Aspekt unserer Arbeit an diesen Daten bezieht sich auf die methodischen Herausforderungen, die wir hatten. Ländervergleiche, Mehrsprachigkeit, automatisierte Datensammlung und Datenanalyse - jeder dieser Aspekte ist eine Herausforderung für sich. In diesem Projekt haben wir all diese kritischen Faktoren auf einmal bewältigt. Eine erste Publikation, die sich mit diesen Fragen beschäftigt, wurde im International Journal of Communication publiziert.
Was die Inhalte betrifft, wissen wir z.B. aus einigen früheren Fallstudien, dass Migrationsberichterstattung dazu tendiert, auf das Negative zu fokussieren. Migration wird dabei oft als eine Bedrohung für die heimische Wirtschaft, den Wohlfahrtsstaat, den Arbeitsmarkt, die Sicherheit oder die Mehrheitskultur dargestellt. Das sehen wir nun auch in unseren Daten in sieben europäischen Ländern und über einen längeren Zeitraum hinweg. In konservativen Medien sind solche Muster umso deutlicher.
Anders sieht dies aber bei der Berichterstattung über innereuropäische Migration aus: Diese ist relativ ausgeglichen und es gibt nur geringe Unterschiede zwischen Medien mit unterschiedlicher Blattlinie. Innereuropäische Migration, obwohl zentraler Bestandteil des europäischen Projekts, nimmt allerdings nur eine schwindend geringe Rolle in der europäischen Migrationsberichterstattung ein.
Da Medien oft die zentralste Informationsquelle der Bürger*innen sind, wenn es um Migration und ihre Auswirkungen geht, ist es wichtig, (uns alle) für medial produzierte Vorurteile zu sensibilisieren und uns negative Verzerrungen bestimmter Bevölkerungsgruppen wie Migrant*innen bewusst zu machen.
Warum haben Sie sich entschieden, die Daten frei zugänglich zu machen?
Inhaltsanalysedaten werden noch viel zu selten in der wissenschaftlichen Community geteilt. Wir wissen aber, dass mediale Diskurse einen Einfluss auf die Einstellungen in der Bevölkerung und auf die Entscheidungen in der Politik haben können. Sie wirken sich auf das Handeln und Denken von Menschen aus. Daher ist es wichtig, dass wir lernen, sie besser zu verstehen. Dazu brauchen wir mehr und bessere Daten und diese Daten müssen einer möglichst breiten Öffentlichkeit frei zugänglich gemacht werden. Nur gemeinsam schaffen wir den wissenschaftlichen Fortschritt in diesem Gebiet.
- Jakob-Moritz Eberl ist Projektmitarbeiter (Post-Doc) am Computational Communication Science Lab des Instituts für Kommunikationswissenschaft der Universität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte sind politische Kommunikation, Wahlverhalten und Migration. Er hat unter anderem in Zeitschriften wie Communication Research, Political Communication, The International Journal of Press/Politics, West European Politics, Electoral Studies und Party Politics publiziert.